“Im Gefängnis ist Zeit Verlangen. Es ist warten. Warten auf Etwas, das das Warten durchbricht. Es ist Warten auf Leben. Auf Etwas, das du fühlst. Auf Etwas, das dich inspiriert. Auf Etwas, das dich weiterbringt, trotz der schleppenden Routine, trotz der toten Umgebung. Es ist Warten und Suchen nach einer Befestigung deines Mensch-Seins. Dort, wo das Gefängnis dich zerstören will, dich unterwerfen will, dich resozialisieren will. Es ist dort, wo du ihre Lügen und Widersprüchlichkeiten durch deine Ohnmacht schneiden fühlst. Es ist dort, wo das Tuch des Spektakels fällt und der Knüppel tastbar wird. Den Knüppel, den wir alle kennen, aber nicht immer sehen oder sehen wollen.”
(Zitat aus “Risse in der Mauer” aus Belgien)
Disziplinierung, Normierung, Kontrolle, Selbstreglementierung und Strafe sind allgegenwärtig in einer repressiven Gesellschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland und somit auch das Gefängnis als eine der höchsten Formen der Zwangsmaßnahmen gegen nonkonformes Verhalten. Bekannt ist es als Institution, die der Bestrafung von gesellschaftlich definierten Fehlverhalten dient, aber das System des Knastes, Wirkungsweise und Situation der Inhaftierten bleibt dabei den Meisten fremd.
Die Wahrnehmung des Gefängnisses, falls überhaupt vorhanden, reduziert sich meist auf Beton und Wachtürme und wird durch Mythen und Meinungsmache gespeist. Sichtbar unsichtbar durchzieht ein Netz von 185 Knästen, mit etlichen Nebenstellen und ca. 70.000 Inhaftierten das Land. Dabei wer- den nicht nur die Festgehaltenen von der Gesellschaft isoliert und ihrer Freiheit beraubt, sondern eben auch die Gesellschaft von den Eingesperrten getrennt. Gerade die, von Politik und Medien beeinflusste, Vorstellung der Menschen vom Knast schafft neben den vorhandenen Gittern, Stahltüren und Stacheldraht neue Mauern.
Von den Medien verbreiteten Bilder, die für viele die einzige Quelle der Meinungsbildung darstellen, zeigen Knäste mit Gemeinschaftsräumen, die mit Kicker und Tischtennisplatte bestückt sind und Zellen mit Fernseher und Blümchen. Sie täuschen einen lockeren, offenen Vollzug und lange Umschlußzeiten mit sperrangelweit aufgerissenen Zellentüren vor. Dadurch wird suggeriert, dass „die es noch viel zu gut haben“. Der Knast als eine Art „Freizeitheim für Schwerstverbrecher“. So wird in diesem Zusammenhang in den Boulevardmagazinen auch gerne mal den zu laschen deutschen Knästen, der „härteste Sheriff der Welt“ oder irgendein texanisches Bootcamp ge- genüber gestellt.
Diese Antwort ist für viele verlockend einfach anzunehmen. Dabei werden einzelne „Täter_innen- Gruppen“ skandalisiert und als allgemein und mehr- heitlich dargestellt.Diese Antwort ist für viele verlockend einfach anzunehmen. Dabei werden einzelne „Täter_innen Gruppen“ skandalisiert und als allgemein und mehrheitlich dargestellt.
Was diese Bilder aber nicht zeigen sind die Demütigungen, die Erniedrigungen, Endwürdigungen und die Ohnmacht, die es auch in den deutschen Knästen gibt. Gezeigt wird auch nicht die Aggression der Schließer und auch nicht die Folter, wie z.B. durch die Isolationshaft und vor allem nicht, was es bedeutet eingesperrt, unfrei zu sein, unter 24 stündiger Beobachtung, entmündigt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Die Mediale Mythenbildung, durch die der Knast für den Großteil der Bevölkerung erst in das Bewusstsein rückt, wird immer wieder zur Verschärfung und Veränderung der Gesamtsituation genutzt, wenn die Politik, etwa als Antwort auf soziale Widersprüche, mal wieder ein wenig an der Repressionsschraube drehen möchte und der Bevölkerung mit höheren Strafen mehr Sicherheit und somit mehr Wohlstand verspricht.
Zuletzt geschah dies bei der Diskussion um die Sicherungsverwahrung, bei der die Presse voll war von unheilverheißenden Visionen von freigelassenen „Sexualstraftätern“. Das diese Gruppe innerhalb der Sicherheitsverwahrten nur etwa 1/5 ausmachte, wurde zumeist nicht benannt. Das die übrigen ca. 400 „Verwahrten“ den Rest ihres Lebens eingesperrt bleiben sollten, meist für Delikte wie Betrug, Dieb- stahl oder Heiratsschwindel ist den wenigsten bekannt und würde auch gar nicht in die so blutver- schmierte Berichterstattung über die Verschärfung der Sicherungsverwahrung passen.
Genau diese Zuspitzung aber sorgt dafür, dass die Akzeptanz zum dauerhaften „Wegpacken“ von Menschen und zu höheren Haftstrafen immer mehr vorhanden ist. Die Reduktion auf Extrembeispiele schafft die Bereitschaft extrem zu strafen. Rache und Abschreckung sind dabei die leitenden Motive der Mehrheit der Bevölkerung. Das verübte Verbrechen wird zu einem gegen die Allgemeinheit erklärt, die vor weiteren Straftaten geschützt werden muss. Nicht wirklich das Opfer oder die Tat zählt, sondern letztendlich die Bedrohung für die Gemeinschaft und die Angst um die eigene Person.
Während noch in den 70er und 80er Jahren der Gedanke der Resozialisation federführend in der öffentlichen Diskussion um Gefängnis war, vollzieht sich in Deutschland schleichend eine Entwicklung, ähnlich wie in vielen anderen Ländern (und die USA sind dabei nur das bekannteste, weil am weitesten fortgeschrittene Land in dieser Richtung), weg von diesem Konzept. Dabei ist nicht die Frage ausschlaggebend, ob Resozialisation, wasimmer mensch davon halten mag, als grundlegender gesellschaftlicher Gedanke in der Praxis gescheitert ist, sondern Veränderung basiert schlechtweg auf kapitalistischen Gründen.
Integration und Resozialisation innerhalb einer Gesellschaft, die über ein Heer von freigesetzten und freiverfügbaren Arbeitskräften verfügt, deren Lohn, Arbeitszeiten und Verträge mehr und mehr nicht mehr tarifgebunden sind, ist einfach unnötig und zu kostspielig. Zeitgleich wird das Knastsystem, oder in diesem Falle besser der Gefängnisindustrielle-Komplex, wirtschaftlich auch immer interessanter. Auch wenn die Installation privatwirtschaftlich geführter Knäste sich noch nicht rechnet und somit auch noch verzögert (bislang gibt es bundesweit erst 6 teilprivatisierte Knäste), ist doch mittlerweile zumindest die Zwangsarbeit in den Knästen ein lohnender Sektor geworden, der bei Tätigkeiten, die als unqualifiziert eingestuft werden (womit meist stupide, monotone Arbeiten gemeint sind), eine transporteinsparende, weil nahe, Konkurrenz für die Produktion in den sogenannten Billiglohnländern ist. Aber auch in anderen Bereichen drängen die Knäste auf den Markt und erwirtschaften, mit den Vorteil von zur Arbeit gezwungenen Billigjobbern, Millionengewinne und werden so auch zunehmend zu Rivalen von mittelständischen Unternehmen.
Auch der Aspekt der weiteren autoritären Formierung der Gesellschaft spielt in der Verschärfung des Knastsystems eine Rolle. Da die bisherige sozialdemokratische Solidargesellschaft und die damit verbundene Befriedungspolitik spätestens seit Ende des realexstierenden Sozialismus passé ist und dem Kapitalismus seit dem anscheinend kein Widersacher gegenübersteht, muss der Bevölkerung auch nicht mehr die Demokratie mit einem Sozialsystem als beste Regierungsform vorgegaukelt werden. Die steigende Konkurrenz, die Angst vor dem sozialen Abstieg, die Verarmung vieler Menschen wird abgefangen durch Nationalismus, Rassismus und Stigmatisierung, aber auch durch die Abschaffung von Rechten und durch repressive Maßnahmen . Wo soziale Gegensätze sich verschärfen, verschärfen sich auch staatliche Repressalien. Und Knast ist Teil der sozialen Gegensätze und eine staatliche Antwort darauf, von der immer mehr Menschen bedroht sind. So stieg die Zahl der Inhaftierten zwischen 1995 und 2010 von ca. 46500 auf 70000. Dabei sind die meisten, anders als in der Öffentlichkeit wahrgenommen, nicht etwa wegen Raub oder Mord, sondern wegen sogenannter Straftaten gegen das Vermögen verurteilt. Allein in Berlin waren im Oktober 2010 ein Drittel der Inhaftierten der JVA Berlin-Plötzensee, das waren 135 Personen, wegen „Befördeungserschleichung“ im Knast. Auch wenn die Zahl der Inhaftierten in den letzten Jahren stagnierte, wird die Zahl der Menschen, die ihr Ticket oder ihre Rechnung nicht zahlen können weiter steigen. Was vermutlich dazu führen wird, dass noch mehr Menschen eingesperrt und ihrer Freiheit beraubt werden und sich die Situation in den Knästen weiter verschärfen wird.
Auch wenn Knast im Ganzen abzulehnen ist, so wäre es für uns fatal jetzt die Situation im einzelnen nicht zu kritisieren. Dabei geht es nicht um die Reformierung eines Systems, dass den eigenen Ansprüchen und der bürgerlichen Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit selbst nicht gerecht wird, sondern um die direkte Solidarität, um die Unterstützung von Menschen, in ihren Kampf um existenzielle Grundbedingungen oder in ihren Kampf um Persönlichkeit, politische Identität und Würde in einem unwürdigen System.
Dabei geht es um Menschen wie Thomas Meyer Falk, der wegen Bankraubs und Geiselnahme seit seinem 25 Lebensjahr im Knast sitzt. Er definiert sich als Anarchist, wollte Geld für linke Projekte beschaffen. Er führt unter den Bedingungen des Knastes, trotz Repressalien und Zensur, seine politische Ar- beit fort, so z.B. durch das Verfassen von Texten zur Situation in den Gefängnissen. Thomas wurde zu 16 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Bis auf eine kurze Zeit im Jahre 1998 saß er bis 2006 in Isolationshaft. Aufgrund seiner politischen Aktivitäten und seiner Verweigerungshaltung gegenüber dem System Knast ist eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung gegen ihn verhängt worden. Hier reagiert der Staat mit einer seiner schärfsten Repressionsmaßnahmen. Politischer Kampf wird mit lebenslanger Haft beantwortet.
Zudem geht es aber auch um Gefangene wie Erwin, der seit über 20 Jahren im Gefängnis sitzt. Seine Mindesthaftzeit ist abgelaufen, aber zu keinem Zeitpunkt wurden vorbereitende Haftentlassungsmaßnahmen angeordnet oder durchgeführt. Erwin hat im Laufe der Jahre angefangen, sich gegen die Haftbedingungen zu wehren und sich dabei, nach eigenen Aussagen politisiert. Die Reaktion der verschiedenen Haftanstalten hatten es in sich. Über Jahre wurde und er mit verschiedenen Sicherheits- und Disziplinärmaßnahmen belegt.
Erwin sitzt in Bielefeld und bis vor kurzem im Hochsicherheitstrakt der JVA Ummeln. Dort wurden ihm trotz ärztlicher Atteste, die ihm mehrere Lebensmittelallergien bescheinigen, das notwendige Essen verweigert und ausschließlich normales Anstaltsessen vorgesetzt. Das hat wiederholt zu lebensbedrohlichen Situationen geführt. Als dessen Folge kam es mehrfach zu Notoperationen, welche wiederum seinen Zustand verschlechterten. Geän- dert wurde daran bis heute nichts. Stattdessen wurde er trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung, mehrfach zur Arbeit gezwungen. Zudem wurden ihm zeitweise seine persönlichen Sachen eingezogen und nicht wieder ausgehändigt. Auch die Einsicht in Unterlagen zu den von ihm eingereichten Beschwerden und Eingaben wurde immer wieder verweigert. Erwin ist voriges Jahr für drei Wochen in einen Hungerstreik getreten dem sich mehrere Gefangene anschlossen. Er wurde ca. ein Jahr in Isolationshaft eingesperrt, um ihn von den anderen Gefangenen und ihrer Solidarität abzuschotten. Zugleich ist dies auch ein Teil des Bestrafungssystems gegen ihn.
Erwins Situation und die vieler anderer Gefangener spiegelt in großen Teilen den Umgang mit Menschen wieder, von denen in dieser Gesellschaft keine Notiz genommen wird. So besagt eine Studie über die Wahrnehmung der Bevölkerung bzgl. der Sinnhaftigkeit von Gefängnissen, dass der überwiegende Teil Sühne, Vergeltung und Abschreckung mit Gefängnishaft verbindet. Und genau das wird in den Gefängnissen umgesetzt. Von der sogenannten Resozialisierung ist nur wenig zu sehen. Im Gegenteil, der Großteil der Gefangenen wird 23 Stunden am Tag weggesperrt. Für den Versuch, Gefangene nach Ihrer Haftzeit wieder dem Arbeits- und Verwertungsmarkt zuzuführen, werden bei einem geringen Teil Therapie- und Betreuungsmaßnahmen durchgeführt. Für die allermeisten aber kommt selbst dies nicht in Betracht. In Einzel- oder Kleinstgemeinschaftszellen, von 7,5qm pro Person werden sie 23 Stunden am Tag verwahrt, allein und sich selbst überlassen. Sie versinken in der Vergessenheit dieser Gesellschaft. Folgen sind oft Gewalt, auch sexualisierte, Verrohung und Vereinsamung. Die Spitze davon zeigt sich dann, wie in den Jahren 2007 und 2009. u.a. in den tödlichen Folterungen von Mitgefangenen.
Inhaftierte, die gegen die Zustände rebellieren und sich wehren, werden mit aller Härte bestraft und auf das Schärfste angegriffen. Der Willkür von Anstaltsleiter_innen und Bediensteten ausgeliefert, kaum eine Möglichkeit ausserhalb des Knastes Gehör zu finden, werden sie mit Zwangsmaßnahmen überzogen, um sie dadurch zu brechen. So werden Gefangene, die sich z.B. mit Anzeigen, Arbeitsverweigerung oder Hungerstreiks dagegen stellen (z.T. seit Monaten und Jahren wie z.B. in Bielefeld und Burg), in Isolationshaft gesteckt und regide bestraft.
Die alltäglichen Repressalien gegen Gefangene sind willkürlich und die Palette der Zwangsmaßnahmen und Bestrafungen ist vielfältig und umfasst sämtliche Bereiche. So wird z.B., wie oben bei Erwin schon erwähnt, benötigte alternative Ernährung verweigert, wodurch betroffene Gefangene gezwungen werden zu Hungern. Ähnliches gilt auch für die Verweigerungen von Medikamenten, medizinischen Maßnahmen oder ärztliche Behandlung. Persönliche Gegenstände, z.T. seit Jahren auf der Zelle, werden ohne Nennung von Gründen entwendet und einbehalten. Trotz Ablauf der Min- desthaftzeit werden keinerlei Vorbereitungen zur Haftentlassung getroffen, um Gefangenen so das Gefühl zu vermitteln, auf immer im Knast vergessen zu sein. Die tägliche Postzensur, also das Lesen der Briefe von den Gefangenen und der Post an sie, das evtl. Schwärzen von Passagen und das Verzögern der Zustellung oder gar die Einbehaltung von Briefen und Zeitungen, verstärkt das Gefühl der ständigen Kontrolle und Überwachung, entmündigt sie noch einmal zusätzlich und beraubt sie fundamentaler Rechte. Anträge und Beschwerden werden verschleppt und in nicht angemessener Zeit bearbeitet. Diese Liste ließe sich um einiges erweitern (so gäbe es auch Beispiele von direkter Folter, wie in Bruchsal, wo ein Gefangener über Monate wegen seines Rebellierens mit ständiger Zellenbeleuchtung gequält wurde) und zeigt letzendlich deutlich das nicht sogenanntes Recht, sondern nur die Willkür von Anstaltsleitungen und Schließer_innen in den Knästen gilt.
In einer Entwicklung, in der der Staat, als Institution (nicht aber als nationales Gebilde), sich mehr und mehr auflöst, die Voraussetzung schafft, dass ehemals staatliche Aufgaben in den privaten Sektor verschoben werden und er nur noch die Rahmenbedingungen durchsetzt für einen Kapitalismus, der in seinen Ausbeutungs- und Verwertungsstrukturen sämtliche Lebensbereiche erfasst, ist es nur logisch, das auch die Gefängnisse privatisiert werden.
Das sich hier einiges verdienen lässt, bei derzeit ca. 70000 Gefangenen, ist klar. Das heißt konkret, dass alle „nicht Hoheitlichen“ Aufgaben von Privatfirmen übernommen werden. Dies geht soweit, dass Gefängnisse von Privatfirmen gebaut werden, um sie dann dem Staat zu vermieten. Die Aufgaben, die Firmen wie z.B. Kötter übernehmen, reichen von Küche, Wäscherei, Telefonservice und Reinigung über ärztliche Versorgung bis zur Schulung, Ausbildung und Therapierung von Gefangenen. Der Anteil dieser Bediensteten in Knästen beträgt mittlerweile bis zu 50%. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Situation der Gefangenen hierdurch verschlechtert, erhöht sich deutlich. Denn wo lassen sich besser Gewinne erwirtschaften, als bei Menschen die, in der staatlichen Logik, Schuld auf sich geladen haben. Sie sollen diese abarbeiten und niemand wird sich beschweren, wenn Firmen sich an Ihnen bereichern. Hinzu kommt, dass sich die Lebensbedingungen der Gefangenen weiter verschlechtern. Beispielsweise müssen Gefangene in Burg eine Generalvollmacht für den Sozialen Dienst unterschreiben. Dies erlaubt der Fa. Kötter in vielen Bereichen über die Gefangenen zu entscheiden. Sie können dann z.B. ohne die Einwilligung der Betroffenen Abos kündigen oder sie zwingen, Geräte (medizin. oder anderer Art) von der Fa. Kötter zu mieten, obwohl eigene Geräte vorhanden sind, welche jedoch von der Anstaltsleitung eingezogen wurden. Auch hier ließe sich die Liste beliebig fortsetzen.
Ein Aspekt der Privatisierung steht noch im Raum: die Zwangsarbeit. Der Staat spricht von Resozialisierung, die Fa. Kötter meint Profite. Zukünftig stehen z.B. der Fa. Kötter in der JVA Düsseldorf 850 Strafgefangene zur Verfügung. Diese werden minimalst entlohnt, ca. 1,50 € in der Stunde. Sie haben kein Streikrecht und können sich nicht gewerkschaftlich organisieren. Krankmeldungen sind nur über den, von der Fa. Kötter bezahlten, Anstaltsarzt möglich. Die Fa. Kötter, die auch außerhalb des Knastsystems durch äußerst schlechte Bezahlung auffällt, wird sich kaum durch ihre Aufgaben bei Aus- und Weiterbildung, Therapierung und medizinischer Versorgung der Gefangenen ihre einkalkulierten Gewinne schmälern lassen. So ist die Situation der Gefangenen ein Spiegelbild der Zustände in dieser Gesellschaft. Der Mensch zählt nichts, einzig der Profit. Widerspruch wird nicht toleriert und Protest und Rebellion unterdrückt und mit Repression beantwortet.
Die Institution Knast ist zu einem vorherrschendem Denkmuster dieser Gesellschaft geworden, dessen Selbstverständlichkeit unangreifbar erscheint. Dagegen zu argumentieren und sich zu wehren, ist in der heutigen Zeit geradezu eine Provokation, ein für die “Zivilgesellschaft“ nicht nachzuvollziehendes Verhalten. Wie kommt mensch also dazu sich mit Knast zu befassen und auseinander zusetzen? Wahrscheinlich durch persönliche Betroffenheit oder eigene Politisierung.
Der erste Schritt ist das solidarische Empfinden und das Wissen darüber, dass Gefängnis für Menschen, die es betrifft allumfassend sein kann. Für die, die es erfahren ist es allgegenwärtig, inbegriffen psychischer, aber auch physischer Folter (was für einige Länder im Besonderen zutrifft), bis dahin, dass es Menschen in den Tod treibt.
Es ist klar , dass es Grenzen in der Solidarität gibt, auch wenn augenscheinlich erst einmal z.B. wegen sexualisierter Gewalt Inhaftierte oder Nazis mit einbezogen sind in den Forderungen nach „Freiheit für Alle“ und „Weg mit allen Knästen“. Dies scheint ein Widerspruch zu sein. Doch für uns setzt Knastkritik nicht bei der Solidarität mit den einzelnen Gefangenen an, sondern zielt mehr auf eine Bewusstseinsbildung und Diskussion draußen und läuft einher mit einer radikalen linken Gesellschaftskritik.
Es kann nicht Ziel sein, Gefängnisse einreißen zu wollen und die Gesellschaftsstruktur drumherum stehen zu lassen. Zwar beinhaltet Engagement in der Antiknastarbeit natürlich auch die Unterstützung der Leute drinnen und hat somit eine Art „karitativen“ Charakter. Doch in Verbindung mit einer radikalen linken Gesellschaftskritik, geht es darüber hinaus und wird zur politischen Konfrontation.
Die Frage, wer im Knast sitzt gibt Aufschluss über die gesellschaftlichen Verhältnisse bzw. die Vorstellung darüber, wer oder was als kriminell gilt. Über 90% der Delikte, die heute zu Haftstrafen führen, haben direkt oder indirekt mit den Eigentumsverhältnissen zu tun. Davon ist der größte Anteil die Gruppe der Nutzer_innen illegalisierter Drogen im Zusammenhang mit sogenannter Beschaffungskriminalität. Wenn der bürgerliche Rechtsstaat, in dem wir angeblich leben von maximalen Freiheitsrechten für das Individuum spricht, so meint er doch nur die, die Eigentum besitzen. Und die wiederum müssen vor den Besitzslosen beschützt werden. Deshalb ist staatliche Repression und auch Knast für das sogenannte liberale Gesellschaftssystem eine zwingende Notwendigkeit. Und deshalb wird klar, dass es mit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch keine Notwendigkeit mehr für Knast geben wird.
Für viele Linke ist das Thema Knast nur nebensächlich oder spielt gar keine Rolle. Wir halten Knast für ein wichtiges Feld der politischen Auseinandersetzungen. Die Frage ob Knast ein relevantes Mittel zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte sein könnte, stellt sich für uns nicht. Wir gehen davon aus, dass Knast ein Teil der Verhältnisse ist, die es zu überwinden gilt. Es ist für uns an dieser Stelle nicht notwendig Einzelheiten eines utopischen Prozesses zu benennen oder zu diskutieren.
Allerdings wird sich eine emanzipatorische knastkritische Bewegung dieser Aufgabe stellen müssen. Es geht darum, für eine Gesellschaft einzustehen, die sich die Frage nach der Institution Knast nicht stellen muss. Eine Über- windung der gesellschaftlichen Verhältnisse und eine damit eine solidarische, wie auch kritische Diskussion und eine entsprechende Praxis zu erarbeiten und umzusetzen. Die Gefangenen, die ohne Chance auf öffentliche Wahrnehmung sind, benötigen ein Sprachrohr und sie benötigen Solidarität. Es braucht mehr Öffentlichkeitsarbeit und eine Plattform um Wissen über Knast, seine Ursachen und seine verheerende Wirkung zu vermitteln. Solidarische Praxis ist mitunter leicht zu entwickeln. Briefe an Gefangene schreiben (Anleitung gibt es dazu im Netz: http://www.abc-berlin.net/gefangenenliste#gefangenen-schreiben) hilft ihnen in ihrem eintönigen Alltag ungemein. Aber auch Prozessbeobachtungen zu organisieren und darüber zu berichten, Rechtsbeistand zu beschaffen und einiges mehr ist möglich. Sei es einfach Briefmarken, Blaupapier, Zeitungen zu schicken oder ganz einfach den Gefangenen Geld zukommen zu lassen.
Solidarität ist wichtig und für die Gefangenen existenziell.
Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Knäste!
Anti-Knast-Gruppe (Bielefeld)